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Pack´ die Badehose ein ...

 

Per Live-Stream sind alle europäischen Außen- und Touristik-Minister auf dem YouTube-Channel „EU-Viva-Sunshine“ versammelt - jeder hält eine Starterpistole wie beim 100-Meter-Sprint in der Hand. Daheim an den Bildschirmen harren millionenfach die Bürgerinnen und Bürger in einer deprimierenden Grundstimmung voller Tristesse, gepeinigt durch monatelange Isolationshaft und soziale Vereinsamung. Dann endlich der ersehnte Countdown des Moderators, der live aus Brüssel dazugeschaltet ist - dazu feierlich einstimmend ein bunter Mix aus allen Nationalhymnen. Dramaturgisch auf den Punkt knallen die Pistolen und entfachen sogleich ein wahres Lauffeuer. Covid-19 war gestern - jetzt zählt nur noch Urlaub-20-20. Jeder ergreift sein Gepäck, rennt wie besessen zum nächsten Flieger, Auto oder Schienengefährt. Die tradierte Touristen-Lawine nimmt unaufhaltsam ihren Lauf zu den beliebten Teutonen-Grills im Mittelmeerraum. Dort wird die konsumfreudige Schar bereits sehnsüchtig erwartet und frohlockend empfangen. The same procedure as last year? Wahnvorstellung, karikierte Wirklichkeit oder Luxusproblem?

  

Szenenwechsel. Der Notruf traf um exakt 11:11 Uhr in der Zentrale der Feuerwehr ein: Verdacht auf Gasexplosion in einem Mehrfamilienhaus in der Innenstadt. Als die Einsatzkräfte vor Ort eintrafen, standen die meisten Hausbewohner wild gestikulierend auf der Straße. Kein Feuer, kein Qualm, und das Haus stand noch. Ein Mann, eine Frau und drei jüngere Kinder fallen komplett aus der Rolle: Sie tragen lediglich Badesachen, sind komplett durchnässt und stehen sichtlich unter Schock. Der hinzugezogene Sachverständige stellte später fest, dass die Statik der Geschossdecke sicherlich einen wassergefüllten 3 x 3-Meter-Pool standgehalten hätte. Als dann die Familie mitsamt Bernhardiner Beppo zeitgleich hineinsprang, war´s zu viel. Es kam zum Durchbruch in die darunterliegende Wohnung. Zwanzig Zentner Sandkastensand, 15 Leihpalmen aus dem Garten-Center, Liegestühle, Sonnenschirme und ein massiver Schwenkgrill waren daran nicht unschuldig. Die Untermieter blieben verschont, denn sie machten bereits Urlaub - völlig exotisch, uncool und aus der Zeit geraten.

  

Wie das geht? Nun, sie verbrachten ihre schönsten Wochen des Jahres erstmals in heimatlichen Gefilden. Ganz abenteuerlich ging es per Bahn ins Allgäu und später mit E-Bikes durch die üppige Natur. Frühere Strandwanderungen wurden ersetzt durch moderate Bergtouren mit beeindruckenden Panoramen. Bergseen haben zwar weniger Meerbrandung, belohnen dafür aber mit mehr erfrischender Kühle und Klarheit. Warum also immer in die Ferne schweifen? Da hilft vielleicht ein cineastischer Rundflug „Deutschland von oben“, der die unzähligen Schönheiten der Republik anschaulich präsentiert und wieder ins Gedächtnis ruft. Weil´s so erholsam war, geht´s im nächsten Jahr vielleicht an die Ostsee.  Liebe geht bekanntlich durch den Magen. Drum gut, dass es allerorts wohltuend erklingt: „Aus deutschen Landen frisch auf den Tisch“. Geht doch.

 

Peter Lengwenings

 

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